China 4 (Korea 1)

05.06.

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Das nächste Kapitel in meiner kleinen Reminiszenz müsste eigentlich nur Korea 1 heißen oder genauer Nordkorea oder, um ganz exakt zu sein, Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR). Denn um das kleine, na gut im Vergleich zur DDR mittelgroße, Nachbarland Chinas hatten wir uns auch zu kümmern. In Pjöngjang war das Radio-TV-Team Ehrich/Herzig zweitakkreditiert. Sobald eine hochrangige Delegation aus Berlin nach ihrem Besuch in Peking in Richtung Nordkorea weiterflog, waren wir mit an Bord. Und nicht wenige Politiker wollten die Gelegenheit nutzen, dem Großen Führer Kim Il Sung ihre Aufwartung zu machen. Solange China und die Sowjetunion im Clinch lagen, musste Kim balancieren, um es sich mit keinem der beiden potentiell Verbündeten zu verderben, doch jetzt, nach dem Ende des großen Zerwürfnisses, konnte auch der oft übersehene Staat dazwischen aufatmen und durchstarten. Allerdings kam die chinesische Politik der Öffnung zur Außenwelt für Kim nicht in Frage. Das Land blieb verschlossen, genügsam, rätselhaft. Umso gespannter waren wir, was uns hier erwarten würde.

Im Gefolge von Horst Dohlus, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK usw., weilten wir zum ersten Mal in Nordkorea. Dohlus war im Parteiapparat der SED für den Parteiapparat der SED zuständig. Demzufolge stand der Erfahrungsaustausch mit hochrangigen Funktionären der Partei der Arbeit Koreas im Mittelpunkt des Besuchs, wenig ergiebig für unsere Berichterstattung. Der Gast selbst versuchte, bedeutungsvoll zu wirken, was ihm aber nur mäßig gelang. Mein Schwiegervater  nannte ihn immer leicht despektierlich den „Frisör“, denn jener hatte tatsächlich dieses Handwerk erlernt. Als Herbert Ende der fünfziger Jahre als Sonderkorrespondent für das „Neue Deutschland“ vom Aufbau des Kombinats Schwarze Pumpe berichtete, war Dohlus dort Parteisekretär und damals schon durch geballte Belanglosigkeit aufgefallen. Vielleicht hat ihn das für eine Parteikarriere prädestiniert. Wie dem auch sei, konzentrieren mussten wir uns natürlich auf den absoluten Höhepunkt des Besuchs, den Empfang durch Kim Il Sung. Da durfte nichts schief gehen. Beim ersten Mal waren wir sehr nervös, denn um die Tatsache selbst wie auch um seinen Zeitpunkt wurde ein großes Geheimnis gemacht. Im offiziellen Programm fehlte dieser Punkt komplett. Statt dessen wies es hier und da offene Stellen aus. Unsere Betreuer, die ansonsten sehr nett und auch kooperativ waren, konnten oder durften uns in dieser Hinsicht keine Auskunft geben. Dabei mussten wir doch vorab Leitungen für die Überspiele bestellen. Also warteten wir im oder vor dem Gästehaus,

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bis es plötzlich hieß, fix fix, Krawatte um, rein in die Nobelkarosse aus der Autoschmiede des bösen westdeutschen Klassenfeindes, es geht los. Im Höchsttempo jagen wir durch die ziemlich menschenleere Stadt, ohne Halt vorbei an wohl einem halben Dutzend schwer bewachten Kontrollstellen, bis wir uns wartend bei einer Tasse dampfenden Ginsengtees in einer riesigen, prachtvollen Empfangshalle wiederfinden. Max wird eingewiesen, von welchem Standort er den Großen Führer drehen darf – und von wo unter keinen Umständen! Dann öffnet sich eine Flügeltür, die Gäste werden in einen noch größeren Palast geführt und in Reih und Glied aufgestellt. Kim schwebt herein, gibt jedem jovial die Hand, selbst die Journalisten werden dazu heran gewunken. Dann dürfen wir noch fünf Minuten Smalltalk aufnehmen, und schon sitzen wir wieder auf unserem alten Platz, wo der Tee noch einmal frisch aufgegossen wurde. Max kontrolliert die Bilder. Ich bastle an meinem Text, und als nach einer guten Stunde die Delegation zurückkehrt, bekommen wir noch ein paar gewünschte Formulierungen mit auf den Weg und eilen ins Fernsehstudio. Wie von Zauberhand sind alle Voraussetzungen für ein störungsfreies Überspiel getroffen. Wer möchte sich auch einen Fehler erlauben, wenn der Große Führer auftritt? Jedenfalls sind alle erleichtert, wir ebenso wie unsere Begleiter, als alles glatt abgelaufen ist. Im Zimmer des Gästehauses erwartet uns eine Vase aus grünem Koryo-Porzellan als persönliches Geschenk von Kim (Koryo, in der offiziellen Umschrift Goryeo, ist der alte Name von Korea) und im Garten ein wohlverdientes Feierabendbier.

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Bei späteren Besuchen in Pjöngjang kannten wir dann dieses Ritual schon und waren darauf eingestellt. Trotzdem wurde immer viel Brimborium darum gemacht. Im Vergleich dazu war selbst in Beijing, wo wir von Begegnungen mit dem jeweiligen Generalsekretär der KP Chinas Hu Yaobang, Zhao Ziyang oder Jian Zemin in Zhongnanhai, wo die führenden Genossen residierten, oder mit Staatspräsident Li Xiannian in der Großen Halle des Volkes zu berichten hatten, das Protokoll weniger steif und die Atmosphäre weniger angespannt.

Eine Episode möchte ich hier einflechten, obwohl sie zehn Jahre später passierte. Ich war erstmals bei meiner geschiedenen Frau Uta, ihrem Mann Ed und meinem Sohn Adam in den USA, in Baltimore zu Gast. Nahe bei ihrem Haus in Mt. Washington gab es einen kleinen Lebensmittelladen, der von einer (süd-)koreanischen Familie geführt wurde. Als ich meine Einkäufe bezahlt hatte, sagte ich freundlich „danke“ auf koreanisch (etwa „Gamza Hamnida“ gesprochen). Der Mann stutzte und dann entspann sich sinngemäß der folgende Dialog (in englisch, nicht in koreanisch), bei dem der Verkäufer aus dem Staunen nicht mehr heraus kam. Er: Ach, waren sie schon mal in Korea? Ich: Ja, mehrfach. Er: Wo, in Seoul? Ich: Nein, in Pjöngjang. Er: Waaas, im Norden? Das glaube ich jetzt nicht. Wie sind sie denn da hingekommen? Ich: Ich habe als ostdeutscher Journalist von dort berichtet. Er ruft nach seiner Frau, die doch mal nach vorn kommen soll, um einen Außerirdischen zu betrachten. Er: Na, dann haben sie vielleicht auch den Großen Führer zu Gesicht bekommen? Ich: Nicht nur das, ich habe ihm auch die Hand geschüttelt. Beide machen große Augen. Seine Frau sagt zu ihm: Gib ihm die Dollar für den Einkauf zurück. Er ist unser Gast.

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2 Antworten zu China 4 (Korea 1)

  1. Regina Kneiding schreibt:

    Wirklich interessant. Insbesondere die schönen alten Fotos…. Wo du die wohl alle ausgegraben hast????

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